War für dich von vornherein klar, was du nach dem Abitur studieren wolltest?
"Bereits in der 11. Klasse war mir klar, dass ich Physiotherapeutin werden wollte. Ich bewarb mich an zahlreichen staatlichen Schulen, wurde jedoch leider überall abgelehnt. Private Schulen kamen aufgrund der hohen Kosten nicht in Frage. So stand ich nach dem Abitur zunächst ohne Ausbildungsplatz da. In dieser Situation improvisierte ich und erwarb die Fitnesstrainer B-Lizenz. Anschließend entschied ich mich, für einige Monate nach Marokko zu gehen. Um dort auch finanziell unabhängig zu sein, bewarb ich mich bei einer renommierten Hotelkette in Agadir und arbeitete dort als Fitnesstrainerin. Schon damals lag mein Fokus auf der Trainingsfläche und dem Kursbereich. Diese Erfahrung bestärkte meinen Wunsch, im Sportbereich zu bleiben. Meine Begeisterung für den Sport ist nicht nur beruflich, sondern auch persönlich begründet:
Mit 14 Jahren wurde bei mir eine Skoliose sowie eine beginnende Wirbelgelenksarthrose diagnostiziert. Für mich war Sport die einzige Möglichkeit, schmerzfrei zu bleiben.
Besonders liebte ich es, Kurse zu geben, in denen Musik und Bewegung eine Einheit bilden. Musik löst im Körper eine Reihe biochemischer Prozesse aus, die unser Wohlbefinden steigern. Bis heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich den Rhythmus der Musik spüre und den perfekten Moment treffe, um auf den Takt einzusteigen und alles zu geben. Das Gefühl, wenn Bewegung und Musik harmonieren, ist für mich pure Freude."
Wie bist du auf das Studium an der Deutschen Hochschule aufmerksam geworden und warum hast du den Studiengang Fitnessökonomie gewählt?
"Ich muss zugeben, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnere, wie ich auf euch aufmerksam geworden bin. Wahrscheinlich war es eine gründliche Google-Recherche, die mich zu euch führte. Ich weiß noch, dass ich nach meiner Rückkehr aus dem Ausland, noch im Flughafenterminal sitzend, zahlreiche Info-Broschüren von verschiedenen Hochschulen und auch von euch bestellt habe. Das Bild meines vollgepackten Schreibtisches ist mir noch lebhaft im Gedächtnis geblieben – unzählige Broschüren und Flyer, die sich dort stapelten. Kaum wieder in Deutschland angekommen, machte ich mich dann auch direkt daran, alles durchzuarbeiten und meine Entscheidung zu treffen.
Ich schwankte damals zwischen den Studiengängen Fitnessökonomie und Fitnesstraining, weil ich meine Leidenschaft für die Arbeit auf der Trainingsfläche und in den Kursen schon entdeckt hatte. Der Studiengang Fitnesstraining hätte diese Interessen perfekt abgedeckt. Doch nach reiflicher Überlegung entschied ich mich bewusst für das Studium der Fitnessökonomie. Es war mir wichtig, auch die betriebswirtschaftlichen Aspekte zu lernen, die für meine berufliche Zukunft von Bedeutung sein könnten – und wie sich herausgestellt hat, war das eine kluge Entscheidung. Seit 2020 bin ich selbstständig und profitiere tagtäglich von dem Wissen, das ich mir in meinem Studium aneignen konnte."
Was schätzt du an dem dualen Studiensystem?
"Von Anfang an war es für mich von großer Bedeutung, dass ich mein Studium mit einer beruflichen Tätigkeit verbinden und gleichzeitig Geld verdienen konnte. In meiner familiären Situation und den gegebenen finanziellen Verhältnissen gab es keine andere Möglichkeit, das Studium zu finanzieren. Es gab sogar drei Semester, in denen ich zusätzlich noch einen Minijob angenommen habe, um finanziell über die Runden zu kommen.
Glücklicherweise habe ich schon immer eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstorganisation besessen. Diese half mir, täglich ein bis drei Stunden intensiv an den Studieninhalten zu arbeiten. Natürlich fielen mir manche Themen leichter als andere, aber insgesamt konnte ich mich gut auf die Anforderungen des Studiums einstellen. Besonders die Vorbereitung auf die Präsenzphasen war mir wichtig: Ich legte großen Wert darauf, dass mir die Inhalte nicht neu waren, sodass die Präsenzveranstaltungen für mich eine wertvolle Gelegenheit waren, das Gelernte zu festigen und durch zusätzliches Insiderwissen zu ergänzen.
Diese gründliche Vorbereitung half mir auch, mit einem sicheren Gefühl in die Prüfungen zu gehen sowie auch das Gelernte sicher im Betrieb umzusetzen. So konnte ich nicht nur das Studium erfolgreich bewältigen, sondern gleichzeitig auch wertvolle praktische Erfahrungen sammeln, die mir heute sehr zugutekommen."
Wie hast du deinen Ausbildungsbetrieb gefunden und in welchen Bereichen warst du eingesetzt?
"Tatsächlich habe ich meinen Ausbildungsbetrieb in allerletzter Minute gefunden – und das auf eine sehr spontane Weise. Ich betrat das Fitnessstudio, erklärte, dass ich einen Ausbildungsplatz für mein Fitnessökonomie-Studium suche, und keine zwei Minuten später saß ich bereits im Vorstellungsgespräch mit dem Studioleiter. Zwar musste ich für die Unternehmenszentrale noch eine formelle Bewerbung einreichen, doch im Grunde erhielt ich bereits am selben Tag die Zusage.
Zu Beginn startete ich im Servicebereich, konnte aber dank meiner bereits erworbenen Fitnesstrainer B-Lizenz auch direkt auf der Trainingsfläche arbeiten. In diesem Betrieb blieb ich eine Weile und wurde schließlich auch im Verkauf eingearbeitet. Nach etwa einem Jahr hatte ich die Möglichkeit, eigene Kurse zu leiten, darunter regelmäßig einen Senioren-Kurs. Dieser Kurs war für mich besonders wertvoll, da das Training mit älteren Menschen andere Ansätze erfordert als bei jüngeren Teilnehmenden.
Nach fast zwei Jahren bot sich mir die Chance, innerhalb des Unternehmens zu wechseln, und so führte mich mein Weg nach Köln in die Unternehmenszentrale. Das letzte Ausbildungsjahr war eine wahre Achterbahnfahrt, da mich dort nicht nur neue Kollegen erwarteten, sondern auch ein völlig neuer Aufgabenbereich: die Personalplanung. Die Verantwortung wuchs und ich lernte, mich in dieser neuen Rolle zu behaupten.
Etwa sechs Monate später wurde mein Ausbildungsbetrieb an eine große Fitnesskette in Köln verkauft. Auf eigenen Wunsch wurde ich in die Zentrale des neuen Unternehmens versetzt, wo ich das letzte halbe Jahr meiner Ausbildung in der Personalabteilung und der Lohnbuchhaltung verbrachte. Diese vielseitigen Erfahrungen haben mir wertvolle Einblicke in verschiedene Unternehmensbereiche ermöglicht und mich optimal auf meine berufliche Zukunft vorbereitet."
Wie kommst du zu deiner Selbstständigkeit?
"Nach meinem Studium fand ich mich überraschenderweise in der Personalabteilung wieder. Anfangs dachte ich, dass dies der richtige Bereich für mich sei: Ein wenig Zahlen, ein bisschen Menschenkontakt und auch rechtliche Aspekte spielten eine Rolle. Doch schon bald wurde mir klar, dass mir in dieser Tätigkeit zwei Dinge fehlten, die mir besonders am Herzen liegen: Flexibilität und Freiheit. Diese Werte begleiteten mich auch in meinem anschließenden Masterstudium, das ich mit der festen Überzeugung antrat, einen Weg zu finden, der mir mehr Raum für Selbstbestimmung bieten würde.
Während meines Masters arbeitete ich weiterhin als Kursleiterin in mehreren Studios freiberuflich und unterrichtete Yoga und Pole. Diese Tätigkeit bereitete mir große Freude und gab mir das Gefühl, meine Kreativität und Freiheit voll ausleben zu können.
Als dann die Corona-Pandemie ausbrach und ich aufgrund betriebsbedingter Umstände 2021 früher aus meinem Arbeitsverhältnis entlassen wurde, entschloss ich mich, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Es war für mich schnell klar: Ich würde mich hauptberuflich als Trainerin für Pole Sport, Yoga und Yoga Wheel selbstständig machen und meine Kurse online unterrichten. Und hier stehen wir nun.
Wie bin ich zum Pole Sport gekommen? Neben dem Kraftsport, den ich seit meinem 15. Lebensjahr betreibe, habe ich im Pole Sport eine Disziplin gefunden, in der ich meine Kreativität und Freiheit voll und ganz ausleben kann. Seit 2013 widme ich mich dieser vielseitigen Sportart, die so viele unterschiedliche Menschen auf ihre eigene Weise begeistert. Persönlich habe ich mich in der Welt des Pole Sports und der Pole Artistik fest verankert, doch es gibt unzählige weitere Stile, in denen sowohl Frauen als auch Männer ihren Ausdruck finden können.
Die Vielseitigkeit und Freiheit, die dieser Sport bietet, fasziniert mich bis heute. In meinem Online-Studio Yoga and Pole Art by Selina und meiner Online-Akademie Yoga and Pole Art Academy habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Pole Sport auf eine gesundheitsorientierte Basis zu stellen, ähnlich wie das gesundheitsorientierte Krafttraining. Denn obwohl der Pole Sport viele Vorteile bietet, bringt er auch einige Verletzungsrisiken mit sich. Um diese zu minimieren, ist ein umfassendes Fachwissen in Anatomie, Trainingslehre und Didaktik unerlässlich. Genau dieses Wissen vermittle ich in meinen Kursen, um meinen Teilnehmern eine sichere und gleichzeitig inspirierende Pole-Sport-Erfahrung zu ermöglichen."
Wie konntest du die Studieninhalte in der Praxis umsetzen?
"Ich habe durch mein Studium ein umfassendes Wissen erworben, das sich hervorragend auf den Pole Sport anwenden lässt. Besonders wertvoll war für mich der Anatomie-Teil des Studiums. Dieses fundierte Wissen ermöglichte es mir bereits früh, komplexe Bewegungen an der Stange besser zu verstehen und präzise auszuführen.
Zusätzlich konnte ich von den Inhalten der verschiedenen Trainingslehre-Module profitieren. Das gerätegestützte Krafttraining, Ausdauertraining, Beweglichkeitstraining und rehabilitative Training sind nun integrale Bestandteile meiner Arbeit als Trainerin. Diese Kenntnisse helfen mir nicht nur dabei, effektive Trainingspläne zu erstellen, sondern auch, Verletzungen vorzubeugen und die allgemeine Fitness meiner Klienten zu verbessern.
Auch die Inhalte aus dem Gruppenfitness-Bereich gehören zu meinem täglichen Repertoire. Sie ermöglichen es mir, dynamische und motivierende Kurse zu leiten, die den Teilnehmenden Spaß machen und gleichzeitig effektiv sind.
Die Module in Betriebswirtschaftslehre und Marketing erweisen sich ebenfalls als äußerst nützlich für meine Selbstständigkeit. Sie geben mir die Werkzeuge, um mein Geschäft erfolgreich zu führen, von der Finanzplanung bis hin zur effektiven Vermarktung meiner Kurse. Diese Kenntnisse ergänzen sich hervorragend mit meiner praktischen Erfahrung aus dem Fitnessstudio und der Personalabteilung und tragen entscheidend dazu bei, dass ich mein Unternehmen effizient und zielgerichtet manage."
Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?
"Mein Arbeitsalltag beginnt mit einem kleinen Ritual: Jeden Morgen nehme ich mir 15 Minuten für Meditation. Diese kurze Auszeit hilft mir, ruhig und entspannt in den Tag zu starten und meine Aufgaben konzentriert und nacheinander abzuarbeiten, anstatt mich von der Vielzahl an Aufgaben überwältigen zu lassen.
Am Vormittag, bis etwa 12:00 oder 13:00 Uhr, widme ich mich vorwiegend administrativen Aufgaben. Dazu gehören Kurs- und Marketingplanung, die Aufnahme und Bearbeitung von Podcasts, sowie die Planung und Durchführung von Einzelunterricht. Zudem nutze ich diese Zeit gerne für meine Buchhaltung, da mein Kopf zu dieser Tageszeit noch frisch und klar ist.
Gegen Mittag verspüre ich das Bedürfnis nach Bewegung. Je nach Wochentag gehe ich entweder zum Krafttraining oder zum Pole-Meisterschaftstraining. Nach dem Sport bereite ich mir eine gesunde Mahlzeit zu und setze meine Arbeit meist ab 15:00 Uhr fort. In dieser Zeit gebe ich oft auch Einzelunterricht, arbeite an meinen Buchprojekten, die 2024 und 2025 beim Meyer & Meyer Verlag veröffentlicht werden und erstelle und bearbeite meine Präsentationen für meine Yoga and Pole Art Academy.
Ab 18:30 Uhr beginnen dann meine Kurse, die bis etwa 21:00 Uhr dauern. Diese Abendstunden sind immer ein Highlight meines Tages, da ich hier direkt mit meinen Teilnehmern arbeite und meine Leidenschaft für den Pole Sport und Yoga teilen kann."
Hast du einen Tipp für unsere Studierenden?
"Bereitet euch gründlich auf die Präsenzphasen vor, damit ihr das Wissen langfristig abrufen könnt und es nicht nur kurzfristig für Prüfungen einpauken müsst, nur um es danach wieder zu vergessen. Je nachdem, in welchem Bereich ihr tätig seid oder tätig werden wollt, ist es wichtig, das Wissen nachhaltig im Langzeitgedächtnis zu verankern. Das gelingt am besten durch kontinuierliches Lernen über einen längeren Zeitraum hinweg. Es mag sein, dass einige Themen leichter zu merken sind als andere, aber eine stetige Auseinandersetzung hilft, das Wissen zu festigen.
Erhaltet euch eure Neugier und scheut euch nicht, eure Dozenten mit Fragen und Szenarien zu konfrontieren, die euch beschäftigen. Ich erinnere mich noch gut an die vielen Gespräche, die ich mit Thomas Kany geführt habe, um bestimmte Bewegungsabläufe besser zu verstehen und zu verinnerlichen. Die zahlreichen Tipps und Eselsbrücken, die ich von ihm erhalten habe, nutze ich noch heute in meinen Kursen und im Einzelunterricht."
Auf welche erreichten Titel bist du besonders stolz?
"Besonders stolz bin ich auf meine Erfolge im Jahr 2023.
2023 habe ich den 2. Platz in der Kategorie Pole Artistik und den 3. Platz im Pole Sport erreicht. Diese Erfolge bedeuten mir viel, doch was sie noch bedeutsamer macht, ist der schwierige Weg, der zu ihnen führte.
Im vergangenen Jahr ging es noch nicht um eine WM-Qualifikation, wie es dieses Jahr der Fall war. Stattdessen war 2023 für mich eine Zeit des persönlichen Verlustes und der inneren Stärke. Während meiner Wettkampfvorbereitung verstarb meine geliebte Mutter Lorena nach einem vierjährigen Kampf gegen den Krebs in einem Hospiz in Frankfurt am Main. Sie starb am 23. April 2023, und die Deutsche Meisterschaft fand Mitte Juni 2023 statt. Der Verlust meiner Mutter war ein schwerer Schlag, aber diese Erfahrung gehört zu meiner Geschichte und hat mich tief geprägt.
In den Wochen nach ihrem Tod stand ich vor der Herausforderung, mein Training mit der Bewältigung ihres Nachlasses, dem Ausräumen ihrer Wohnung bis Ende Mai, der Trauerarbeit und der nötigen Regeneration zu vereinbaren. Trotz all dieser Belastungen habe ich es geschafft, Raum für mein Training zu finden. Ich merkte, wie sehr mir das Kraft- und Pole-Training halfen, meine mentalen und emotionalen Batterien wieder aufzuladen. Es war eine faszinierende Erfahrung: Obwohl ich körperlich aktiv war und Energie verbrauchte, fühlte ich mich durch das Training gestärkt und fand darin Halt. Diese Erkenntnis gab mir in dieser schweren Zeit enormen Rückhalt.
Manchmal ist es für mich immer noch ein Rätsel, wie ich es geschafft habe, in dieser schwierigen Phase meine Ziele zu verfolgen und dabei solche Erfolge zu erzielen. Doch ich bin sehr stolz darauf, dass ich an meinen Visionen festgehalten habe, weil sie mir in meiner Trauerarbeit etwas zurückgegeben haben, das mich innerlich wieder heilte.
Natürlich bin ich auch auf meine diesjährigen Leistungen überaus stolz. 2024 war das erste Jahr, in dem ich in der Elite-Kategorie sowohl im Pole Sport als auch in der Pole Artistik angetreten bin – die höchste Kategorie, in der man sich für die Weltmeisterschaft qualifizieren kann. Es fühlt sich immer noch unwirklich an, aber ich habe es geschafft: Mit meinem 2. Platz und einer herausragenden Bestpunktleistung im Pole Sport habe ich mich direkt für die WM qualifiziert. Dieser Erfolg war für mich lange schwer zu begreifen.
Ich bin unglaublich dankbar, dass ich mit 29 Jahren ein so schönes Ende meiner 20er erleben darf und die Ehre habe, Deutschland bei den diesjährigen Weltmeisterschaften zu vertreten. Drei Tage nach der Meisterschaft werde ich 30 Jahre alt und trete in eine neue Altersklasse ein – ein neuer Abschnitt, dem ich voller Vorfreude entgegenblicke."
Selina Reichert tritt am 27.10.2024, ca. 13 Uhr an. Die DHfPG und BSA-Akademie wünschen Selina Reichert viel Erfolg bei der Weltmeisterschaft!